"Na, aufgeregt?"

Wieso es bei einem Shooting nicht nur um Fotos geht...

Wenn ich euch nun sage, dass das Shooting als solches genauso wichtig ist, wie das, was hinterher dabei rumkommt- nämlich im Idealfall wahnsinnig schöne Bilder - dann könnte ich mir vorstellen, dass ihr mir zunächst einmal widersprechen möchtet. Denn: die allerwenigsten Menschen kommen ja zu mir, weil sie so wahnsinnig gern vor der Kamera stehen. Im Gegenteil: manch einer kann am Vorabend vor lauter Aufregung kaum richtig schlafen. Entspannung? Nope. Genuss? Auf keinen Fall! Ich möchte dir aber mit diesem Blogpost Vorfreude vermitteln, Sicherheit geben und dir einen kleinen Vorgeschmack auf das geben, was wirklich auf dich/euch zukommt. Hierfür habe ich euch eine kleine Geschichte geschrieben, die so, oder so ähnlich, eure Geschichte sein kann …

Der Vorabend
"Schatz, ich brauche deine Hilfe".
"Was ist denn?", antwortet er mit einem Lächeln, das sie nicht sehen, aber hören kann, vom Sofa aus.
"Soll ich besser den grünen oder den rosé farbigen Nagellack nehmen?".
Er seufzt leicht und verdreht die Augen im Kopf: "Nimm den rosé, denk ich".
"Aber der Grüne passt besser zu deinem Pullover. Du ziehst doch den grünen Pullover morgen an, oder?".
Er legt sein Tablet auf den Couchtisch und geht vom Sofa zur offenen Badezimmertür und beobachtet Marie, die gerade seltsame Gesichtsausdrücke vor dem Spiegel probt, mit einem leichten Grinsen . "Was zum Geier machst du da?" fragt er lachend.
"Na üben!", entgegnet sie und erwidert sein leichtes Grinsen mit einem breiteren.
"Solltest du vielleicht auch mal tun. Du guckst auf Fotos immer so brummelig" fügt sie mit einem gekünsteltem Brummgesicht, das sie ihrem Spiegelbild zuwirft, hinzu.
Er rauft sich durch die Haare und seufzt erneut. "Ich hoffe, dass das morgen schnell vorübergeht", sagt er nachdenklich.
"Und hoffentlich sieht uns keiner deiner Arbeitskollegen" fügt Marie amüsiert hinzu. "Das wird schon Schätzelein. Und im Notfall trinken wir uns vorher einen". Sie zwinkert ihm zu und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. "Also?"
"Also was?", fragt er.
"Na, grün oder rosé?"
"Nimm den Grünen, denk ich".

Am nächsten Morgen- 2 Stunden vor dem Shooting
"Ehhhm du weißt aber schon, dass ich mich auch noch fertig machen muss?", ruft er Marie angespannt vom Schlafzimmer ins Badezimmer herüber zu. Obwohl Linus sich selbst für einen Typen hält, den nichts, rein gar nichts aus der Ruhe bringen kann, spürt er, dass das Frühstück heute früh wohl etwas spartanischer ausfallen muss.
"Schatz, wo sind meine Ohrringe?", ruft sie seine Frage ignorierend zurück.
"Bin ich Krösus?", antwortet er.
Marie stapft halb angezogen ins Schlafzimmer. "Krösus? Du weißt schon, dass du diesen Spruch grundsätzlich falsch benutzt?" fragt sie ihn mit hochgezogener Augenbraue, während sie ihres Krimskrams Schublade hektisch auseinander pflückt. "Verdammt, wo sind diese verflixten Ohrringe", murmelt sie vor sich hin.
"Kann ich jetzt ins Bad?", fragt er rhetorisch und verlässt das Schlafzimmer. Sie antwortet nicht.
"Ach du scheiße", flüstert Linus sich selbst zu, als er das Chaos im Bad vorfindet. Glätteisen, Haargummis, Kettchen, Ringe, Pinsel, Puder und überall im Waschbecken braune Schminkbrösel und lange straßenköterblonde Haare. "Egal", sagt er zu sich selbst. Nicht heute. Dafür hab ich jetzt keinen Nerv. Zwischen all den Tuben und Cremes kramt er seinem Haarwachs hervor und stylt sich die Haare und geht zurück ins Schlafzimmer. Marie, die noch vor 2 Minuten eine braune Strumpfhose mit einem Rock darüber trug, steht nun lediglich in Slip und BH vor dem Spiegel des Kleiderschranks und versucht einen überdimensional großen Ohrring durch ihr Ohrläppchen zu schieben.
"Du weißt aber schon, dass wir so langsam losmüssen? Wieso bist du denn jetzt wieder ausgezogen?" fragt er sie leicht gereizt.
Keine Antwort.
"Hallooooho?" drückt Linus mit über dem Kopf zusammenschlagenden Händen nach.
Marie unterbricht schlagartig ihre Tätigkeit, dreht sich zu Linus um und guckt ihn todernst an: "Stress. Mich. Jetzt. Nicht".
Linus begreift den Ernst der Lage und da er Marie nun mittlerweile gut genug kennt, sagt er, was er immer in solchen Situationen zu sagen weiß: "Holla, die Waldfee, Schatz- du siehst richtig, richtig heiß aus. Da können die Bilder ja nur gut werden". Zufrieden dreht Marie sich zum Spiegel zurück, bedankt sich mit einem strahlenden Lächeln und schafft es, den überdimensional großen Ohrring innerhalb von 5 Sek in ihr Ohrloch zu manövrieren.
"Alles klar Bärchen. Können wir?" singt sie ihm 15 Minuten später zu und greift amüsiert seine Hand. Dass er statt des grünen Pullovers, seinen grauen Lieblingspullover trägt, merkt Marie gar nicht. Spielt auch keine Rolle, denn sie fühlt sich einfach nur schön.

Das Shooting
20 Minuten früher als vereinbart, fahren die beiden auf den Parkplatz des Schloss Nordkirchens. Verwundert und positiv überrascht, winkt den beiden mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht der Fotograf, der gemütlich auf der Kante seines Kofferraumes sitzt, zu.
"Und ich, dachte, wir sind früh dran", sagt Marie zu Linus, während sie dem Fotografen zurückwinkt.
"Er sieht genauso freundlich aus, wie er am Telefon geklungen hat" fügt sie hinzu.
"Fuck, ich bin total nervös", gesteht Linus Marie. Marie, die ganz genau weiß, dass Linus sowas nur dann zugibt, wenn es wirklich richtig ernst ist, streichelt ihm beruhigend über den Rücken, während dieser nach hinten übergebeugt in die Parklücke einfährt. "Ich auch ein bisschen, aber das wird bestimmt spaßig".
Das Erste, was Linus erschrocken wahrnimmt, nachdem der Fotograf die beiden freundlich begrüßt hat und sich mit den lockeren Worten "Moin, freut mich euch nun live kennenzulernen. Schick seht ihr aus! Gehts euch gut?", ist das riesige Objektiv an der Kamera des Fotografen. Die beiden nicken.
"Ich habe mich hier gerade schonmal umgeschaut und ein paar coole Locations für euch herausgesucht. Wir haben richtig gutes Licht heute" teilt er den beiden strahlend mit.
"Gutes Licht, aber schlechte Motive", entgegnet Linus lachend. Marie wirft ihm daraufhin einen strengen Blick zu.
"Da irrst du dich, mein Lieber. Wirst schon sehen" antwortet der Fotograf selbstbewusst und zugleich aufbauend. Er weiß, dass solche Aussagen, eine Art Entschuldigung sein sollen. Er spürt sofort, dass Linus, aber auch Marie, ziemlich aufgeregt sind. "Gut so" denkt er sich. Er weiß, dass gerade diejenigen, die total aufgeregt sind, am Ende Bauklötze staunen werden, was für ein entspanntes und tolles Erlebnis so ein Shooting sein kann. Er weiß, dass gerade diejenigen, die sich selbst nie auf professionellen Bildern gesehen haben, sich unglaublich über die Resultate freuen werden, da sie bisher immer nur von Bekannten mit ihren Smartphones fotografiert wurden, die keine Ahnung davon haben, wie man Menschen ins "rechte Licht" rückt und die echten "Schokoladen" herauskitzelt. "Okay ihr beiden. Wir legen hier vor diesem Hintergrund gleich mal los" kündigt er freudig an, während er den Schutzdeckel von seinem Objektiv nimmt und die Kamera einschaltet.
"Hier? Da sieht man das Schloss ja gar nicht?" fragt Linus überrascht und interessiert zugleich.
"Keine Sorge, das Schloss kommt natürlich auch noch mit drauf, aber hier ist gerade schön weiches Licht" erklärt der Fotograf.
"Schön weiches Licht? Wusste nicht, dass Licht weich sein kann" denkt Linus sich, sagt aber nichts.
Als hätten die beiden es tagelang einstudiert, stellen sich Linus und Marie in vorher durchgeplanter Pose unaufgefordert auf und setzen ihr schönstes Posing-Lächeln auf. Bereit fürs Foto.
Der Fotograf lacht ein wenig amüsiert, was Linus und Marie sofort verkrampfen lässt.
"Okay, locker bleiben Leute" beginnt der Fotograf mit einem amüsierten Lächeln zu erklären:
"Wir machen das jetzt ganz anders, als ihr es euch vielleicht vorgestellt habt. Und zwar: die nächsten 50 Minuten macht ihr, wonach euch der Sinn steht. Stellt euch vor, ich wäre gar nicht da! Nicht so Einfach- ich weiß und ich werde euch auch immer wieder Dinge zurufen. Aber, ihr dürft jetzt einfach die nächsten 50 Minuten das tun, was ihr tun würdet, wenn ich nicht da wäre. Es ist ein schöner Tag an einem schönen Ort. Ihr seht super aus. Geht spazieren, nutzt die Zeit für euch. Schenkt euch Liebe. Umarmt euch hin und wieder, blödelt rum, haltet Händchen und so weiter.  So weit easy, oder?".
Überrascht, aber durchaus positiv gestimmt, lösen sich die beiden aus ihrer eingenommenen Pose.
"Okay, klingt gut. Was machen wir als Erstes?" fragt Marie begeistert.
"Am liebsten das, worauf ihr gerade am meisten Lust habt. Aber um euch den Einstieg zu erleichtern, würde ich euch bitten, dass ihr einfach mal diesen Weg auf und ab lauft".
Linus packt sich Maries Hand und die beiden tun genau das, was man ihnen sagte.
Dann ruft der Fotograf: "perfeeeekt. Danke. Und jetzt dreht euch um und kommt langsam auf mich zu! Achtet ein wenig darauf, dass ihr nicht einen Meter Platz zwischen euch lasst, sondern eng beieinander geht". Die beiden wissen sofort, dass dieser Ratschlag absolut Sinn macht. Während die beiden also langsam auf den Fotografen zulaufen, hören sie immer wieder "klick, klick, klick" und kurze Anweisungen wie "enger! Danke", "einmal stehen bleiben", "schaut euch kurz an", einmal kurz umarmen", "kurz rückwärts laufen. Klick, klick, klick. "Sauber, genau so". "jaaaa, ihr seid super zusammen". So langsam beginnt die ganze Sache Spaß zu machen, denkt Linus sich. Außerdem scheint dieser Fotograf wirklich einen leichten Knall zu haben, so begeistert und enthusiastisch er bei der Arbeit wirkt. Es ergibt sich eine Mischung aus Phasen, in denen er sich tatsächlich komplett raushält und die beiden kurzzeitig vergessen können, dass er überhaupt da ist, und solchen Phasen, in denen er die beiden immer wieder anweist, Dinge zu tun. Allerdings immer in einer solchen Geschwindigkeit, dass für die beiden gar keine Zeit bleibt, darüber nachzudenken, ob das, was sie da gerade tun, total bescheuert oder vielleicht sogar gut aussieht.